Über die grandiose Pianistik Hyuk Lees, die perlende Geläufigkeit, die Leichtigkeit und die klangfarbliche Vielfalt und Variabilität seines Spiels kann man nur staunen.
Von Günter Schultz (Westdeutsche Zeitung)
Hyuk Lee, geboren in Seoul, Südkorea, hat im September 2022 in der Reihe der „Kawai-Klavierabende“ sein erstes Krefeld-Konzert gegeben. Damals präsentierte er sich als ein großartiger Pianist, der mit Selbstbewusstsein, aber ohne affektierte Selbstdarstellung auftrat. Den Status des Studenten hat er bis heute beibehalten, zur Zeit studiert der 23-Jährige an der „Ecole Normale de Musique de Paris“.
Nun, sechs Monate später, tritt er zum zweiten Mal in Krefeld auf, hat gerade den 1. Preis beim internationalen „Long-Thibaud Wettbewerb“ in Frankreich gewonnen und ist auf dem Weg, international Karriere zu machen. Der Rezensent fragte bei seinem ersten Krefelder Auftritt: „Was soll man diesem Pianisten noch beibringen?“ Die Antwort hat Hyuk Lee bei diesem Konzert selber gegeben. Die Werke, die er im Mönckemeyer Saal darbot, Mozarts „Sonate Nr. 8 a-Moll KV 310“, Rachmaninovs „Sonate Nr. 2 b-Moll op.36“ sowie im zweiten Teil des Abends Chopins „3 Walzer op. 64“ und die „Sonate Nr. 3 h-Moll op. 58“ zeigten eine großartige Pianistik, die er allerdings schon beim ersten Konzert präsentiert hatte. Feine Artikulation und straffe Geläufigkeit in Mozarts Sonate, ein berührender zweiter Satz mit weichem Anschlag und inniger Tongestaltung, gedacht als ein Trauergesang und eine Liebeserklärung, gewidmet Mozarts damals in Paris verstorbener Mutter , das alles setzte Lee mit Empathie in Klang um.
Rachmaninovs Klaviersonate, 1913 uraufgeführt, schwelgte im spätromantischen russischen Geist. Virtuose Passagen wechselten mit ruhigen, nachdenklichen Momenten ab, ohne dass ein Bruch entstand. Über die grandiose Pianistik Hyuk Lees, die perlende Geläufigkeit, die Leichtigkeit und die klangfarbliche Vielfalt und Variabilität seines Spiels kann man nur staunen. Die allerdings kennt man schon aus seinem ersten Krefelder Auftritt. Die Unmittelbarkeit seiner Tonsprache ist neu, seine Musik lebt aus dem Augenblick. Lee nutzt seine phänomenale Technik, um der Musik zu dienen. Brillante Läufe sind kein Glamour, sondern klingen charmant und vermitteln Spielfreude. Dies gilt ganz besonders für die Interpretation der Chopin´schen Werke. Mit dezent eingesetztem Pedal zaubert er Klänge, die mal tänzerisch, mal lyrisch erscheinen, mal in leuchtenden Kantilenen, mal in filigraner, transparenter Stimmführung, mal werden Klänge „gemalt“, mal „erzählt“ er dem Publikum eine Geschichte.
Die Diversität des Ausdrucks ist das Neue an seiner Spielweise. Und es ist beeindruckend, mit welcher Differenziertheit der Kawai-SK-7-Flügel sein Spiel transportiert. Das ist magisch. Chopins langsamen Satz aus der „Sonate h-Moll“ spielt er so frei und versunken, als würde er improvisieren. Man spürt, dass er gerade in Frankreich studiert, seine Spielfreude atmet französischen Esprit. Dazu gehört auch das grandiose Finale, das so mitreißend dargeboten wurde, dass einige begeisterte Zuhörer mit dem letzten Akkord aufsprangen und mit Bravorufen frenetischen Beifall zollten. Mit drei Zugaben von Chopin bedankte sich Hyuk Lee, dem die Zukunft gehört. Eine besondere Ehre wurde ihm zuteil: Er ist ausgewählt worden, am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, in Paris einen Klavierabend zu geben.