Westdeutsche Zeitung
Krefeld Der junge Pianist Hyuk Lee gastierte in Krefeld. Was er an technischer und künstlerischer Qualität präsentierte, ist bereits international hochklassig.
Von Günter Schultz
Der fünfte Kawai-Klavierabend 2022, die Krefelder Pianisten-Talentschmiede im Mönckemeyer Saal der Musikschule Krefeld, wurde vom jungen koreanischen Pianisten Hyuk Lee bestritten. Der heute 22-jährige Student gewann mit 16 Jahren den Ignacy-Jan-Paderewski-Klavierwettbewerb, mit 18 den ersten Preis und den Konzertpreis beim Moskauer Chopin-Wettbewerb, mit 21 gehörte er zu den 12 Finalisten des XVIII internationalen Chopin-Klavierwettbewerbs. Sein Studium begann er am Moskauer Konservatorium bei Vladimir Ovechinnikov, zurzeit studiert er in Paris an der „Ecole Normal de Musique“.
Was soll man diesem jungen Pianisten noch beibringen? Was er hier in Krefeld an technischer und künstlerischer Qualität präsentierte, ist bereits international hochklassig. Die Werke Chopins beherrscht er phänomenal, seine Interpretationen erscheinen so souverän, sowohl in den „Variations Nr. 2 über das Thema „La ci darem la mano“ (eine Arie aus Mozarts Don Giovanni) als auch in der „Klaviersonate Nr. 2 b-Moll“ (mit dem Trauermarsch). Es gelang ihm, jede Variation als ein autonomes Charakterstück zu gestalten. Virtuose Tonkaskaden, einfühlsame Kantilenen, pathetische und tänzerische Momente, sein Spiel ist so vielgestaltig angelegt. Auch in Chopins zweiter Klaviersonate wirkte sein Spiel so selbstverständlich leicht und sicher, kraftvoll und temperamentvoll im Scherzo, von innerer lyrischer Kraft getragen im „Marche funèbre“, mit bis ins hauchzarte Pianissimo kontrolliertem Anschlag.
Stilistisch beherrscht er auch die spätromantische und frühmoderne Klangwelt eines Sergei Prokofjew, Nikolai Medtner oder Igor Strawinsky, wobei besonders hervorzuheben ist, dass er Werke des bisher weitgehend unbekannten Komponisten Nikolai Medtner zur Aufführung bringt. Die größte pianistische Herausforderung, Strawinskys „Petruschka-Suite“, wurde spieltechnisch so überzeugend dargeboten, das virtuose Akkordspiel und das brillante Tremolo mit beiden Händen ebenso wie die spielerisch-leichte Treffsicherheit bei großen Sprüngen. Sein Spiel zog die Zuhörer in seinen Bann. Mit hochkonzentrierter Aufmerksamkeit verfolgten sie die brillant und facettenreich gespielten „4 Etüden op. 2“ von Prokofjew wie auch Medtners „Sonata Reminiscenza Nr. 1 op. 38“, die erste von 14 bisher weitgehend unbekannten Klavier-Sonaten des in Moskau geborenen und in London gestorbenen Komponisten, stilistisch angesiedelt zwischen tonaler Spätromantik und früher Moderne.
Hyuk Lee, ein spielfreudiger Pianist, gab seine Visitenkarte in Krefeld ab. Von kräftigem Applaus beflügelt, verließ er erst nach der dritten Zugabe das Podium.